Im Juli hat der Gerlinger Jugendgemeinderat seit langer Zeit wieder einmal in Präsenz getagt. Zugeschaltet per Videostream war der Sitzung der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland.
„Es ist schön, dass wir nach so langer Zeit wieder einmal in Präsenz tagen können“, begrüßte Bürgermeister Dirk Oestringer die Jugendgemeinderäte im Sitzungssaal. Sein Gruß galt auch Rainer Wieland, der der Sitzung aus Brüssel zugeschaltet war. „Wir haben heute damit eine Premiere, denn die Sitzung ist die erste Hybridsitzung in Gerlingen“, hielt das Stadtoberhaupt fest und bedankte sich an der Stelle bei allen Kollegen, die dies möglich gemacht haben.
Impfaktion in der Stadthalle
Unter dem Punkt „Bekanntgaben” wies Bürgermeister Oestringer darauf hin, dass in der Stadthalle vergangene Woche eine Impfaktion für Schüler ab 12 Jahren stattgefunden habe. „Die Impfaktion wurde von unserem Gerlinger Mitbürger Dr. Thorsten Pilgrim durchgeführt“, so Oestringer. Das Angebot hätten rund 100 Schüler angenommen. Tatsächlich sei es die Entscheidung des Arztes, ob er ein Impfangebot für alle ab 12 Jahren mache und nicht nur Kinder mit Vorerkrankungen impfe, so Oestringer weiter. Zukünftig bestehe aber auch im Impfzentrum in Ludwigsburg für Schüler ab 12 Jahren die Möglichkeit, sich impfen zu lassen.
Lisa Groß verabschiedet
Nächster Tagesordnungspunkt war die Verabschiedung von Lisa Groß, die schon seit einiger Zeit in Konstanz wohnt. Groß war von 2017 bis jetzt – also fast zwei Wahlperioden – Mitglied im Jugendgemeinderat. In der Zeit habe sie beispielsweise an den Veranstaltungen des Jugendgemeinderates zur Kommunalwahl und zur Landtagswahl, sowie am ISEK-Jugendforum mitgewirkt. Zudem sei sie auch beim Thema Treffpunkt für Jugendliche aktiv beteiligt gewesen. Oestringer dankte der scheidenden Jugendgemeinderätin für ihr Engagement, ihre Zeit und ihre Ideen und wünschte ihr alles Gute für die Zukunft.
Sven Ernst im Amt verpflichtet
Für Lisa Groß rückte Sven Ernst ins Gremium nach. Er wurde von Bürgermeister Oestringer mit Corona-konformem „Handschlag“ im Gremium begrüßt. Ernst wird dem Gremium auf jeden Fall bis zur Wahl im Herbst angehören und kann dann erneut kandidieren.
Bericht vom Jugendforum
Paulina Sauer berichtete anschließend über das Online-Jugendforum am 24. Juni. Das Jugendforum habe mit einer Gruppenphase begonnen, in der Gerlinger Jugendliche mit den Jugendgemeinderäten diskutieren konnten. Anschließend gab es ein Gespräch mit dem Stadtoberhaupt und den Amtsleitern. Große Themen seien der Verkehr und insbesondere auch der Radverkehr gewesen, erklärte Sauer auf Nachfrage. Dabei sei beispielsweise auch die Einrichtung eines Radschutzstreifens auf der Panoramastraße angeregt worden. Ferner sei es ein Wunsch der Jugendlichen, dass die Busabfahrtszeiten schülerfreundlicher gestaltet werden. „Natürlich war auch der Treffpunkt für Jugendliche ein Thema“, so Sauer.
Bürgermeister Oestringer wies an der Stelle darauf hin, dass Gerlingen ein Verkehrskonzept in Auftrag gegeben habe. Bei dem Konzept seien auch die Bürger und die Jugendlichen gefragt. „Da können Ideen auch noch eingebracht werden“, so Oestringer. Die Veranstaltung sei trotzt des digitalen Formats eine gute Sache gewesen, betonte das Stadtoberhaupt.
Gespräch mit Rainer Wieland
Anschließend hatten die Jugendgemeinderäte die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Vizepräsidenten des Europaparlaments Rainer Wieland (CDU). Wieland sei seit 1997 Mitglied im europäischen Parlament und einer der 14 Vizepräsidenten, hielt Bürgermeister Oestringer in seiner Begrüßung fest. Wieland sei Gerlinger Mitbürger und lange Jahre als Stadtrat tätig gewesen. Er sei häufig in der Region unterwegs und habe immer auch einen Blick für Gerlingen. Wieland hatte das Gremium zu einem Besuch in Straßburg eingeladen. Wegen Corona konnte der Besuch im Parlament leider nicht stattfinden. Jugendratssprecher Tim Kröper hat den Gerlinger Europaabgeordneten stattdessen zu einem Online-Gespräch eingeladen.
„Mir ist das Herz aufgegangen, als ich Sie da im Sitzungssaal gesehen habe“, begrüßte Wieland das Gremium. Da seien bei ihm Erinnerungen an seine Zeit im Gemeinderat aufgekommen. In der Zeit wurde übrigens auch der Gerlinger Jugendgemeinderat ins Leben gerufen, damals auf Vorschlag von Klaus Herrmann.
Für das Gespräch hatte das Gremium einige Fragen vorbereitet. Die Frage stellten Kröper und die stellvertretende Sprecherin Annika Windmüller. Windmüller wollte zunächst wissen, was die Aufgaben eines Vizepräsidenten sind.
Wieland wies an der Stelle darauf hin, dass es für die Vizepräsidenten im Europaparlament nicht mehr Geld und auch keinen Fahrer gebe. Nur dem Präsidenten und den Fraktionsvorsitzenden stünden Fahrer zu. Die Zuständigkeiten der Vizepräsidenten würden von den jeweiligen Präsidenten verteilt. Wieland war beispielsweise schon für das Thema Cyber-Sicherheit und Digitalisierung zuständig und ist aktuell zusammen mit einem Kollegen für das Budget des Parlaments und den Gebäudepool zuständig. Darüber hinaus sei er noch in verschiedenen Ausschüssen tätigt unter anderem im Ausschuss „Geschäftsordnung“. Der sei in den vergangenen Monaten wegen der Pandemie auch mit der Frage beschäftigt gewesen, ob Abgeordnete zu Abstimmungen vor Ort sein müssen oder auch aus der Ferne abstimmen können. Dabei habe vor allem auch die Frage eine Rolle gespielt, wie sichergestellt werden kann, dass bei Online-Abstimmungen auch wirklich der Abgeordnete abstimmt.
Auf die Frage von Kröper, wie sein Arbeitsalltag aussehe und ob er sich durch Corona verändert habe, erklärte Wieland, dass er momentan tatsächlich mehr Zeit im Büro verbringe und vieles auch von seiner Wohnung in Brüssel mache. Als Deutschland für Belgien Hochrisikogebiet war, sei er erst Freitagabend nach Gerlingen gefahren und am Sonntag wieder zurück, damit er de 48 Stunden-Regel einhalten konnte. Diese Woche habe er auch wieder verschiedene Vor-Ort-Termine gehabt – unter anderem in Ludwigsburg. Zwischen diesen bis zum nächsten Termin habe er dann unterwegs einige Telefon- und Videokonferenzen gehabt. An anderen Tagen stehen für Wieland verschiedene Sitzungen in den Ausschüssen, Gespräche mit Fraktionskollegen oder auch Gespräche in Zusammenhang mit seiner Arbeit als Vizepräsident auf dem Programm. Das könnten bis zu 20 längere und kürzere Termine pro Tag sein.
Auf die Frage, welche Station ihm bei seinem politischen Werdegang von Gerlingen bis nach Brüssel am meisten gefallen habe, erklärte Wieland: „Viele Dinge werden von dem Grundsatz geprägt – es menschelt überall.“ Wenn sich jemand wegen einer Äußerung auf den Schlips getreten fühlt, sei das Ergebnis in einem Gemeinderat dasselbe wie im Europaparlament. Dann gelte es das klärende Gespräch zu suchen. Der größte Unterschied sei die Übersetzerei, die im Europaparlament einfach unumgänglich ist.
Er habe sich schon früh politisch interessiert, so Wieland weiter. Zwei Dinge seien dabei prägend gewesen. Zum einen habe er auf dem Weg zur Schule nach Feuerbach immer die Tageszeitung mitnehmen können, weil seine Eltern aus beruflichen Gründen erst abends zum Zeitunglesen kamen. Durch die Zeitungslektüre sei er neugierig auf Politik geworden und deshalb der Jungen Union beigetreten. 1980 habe er dann erstmals für den Gerlinger Gemeinderat kandidiert. Bei dem ersten Anlauf ohne Erfolg. Im zweiten Anlauf 1984 habe es dann aber geklappt. Prägend sei auch gewesen, dass seine Schule eine englische Partnerstadt hatte. „Das hat mich total fasziniert“, erklärte Wieland. Dadurch habe er sein Herz für den europäischen Gedanken entdeckt. Neben seinem Mandat im Gemeinderat sei er auch noch Abgeordneter im Kreistag und in der Regionalversammlung gewesen. Nach seiner Wahl zum Europaabgeordneten habe er sein Mandat in der Regionalversammlung behalten und das im Kreistag sowie beim Gerlinger Gemeinderat niedergelegt. „Letzteres mit Wehmut“, hielt Wieland fest. „Die Jahre im Gerlinger Gemeinderat waren eine schöne Zeit.“
Zur Frage, was die Europäische Union gegen die Klimakrise tun werde, erklärte der Vizepräsident, dass die Kommission ein sehr ambitioniertes Programm vorgelegt habe. Europa und Deutschland seien in Sachen Klimaschutz ganz weit vorne. Deutschland stelle ein Prozent der Weltbevölkerung und verursache rund zwei Prozent der Kohlendioxidemissionen, Europa stelle sieben Prozent der Weltbevölkerung und verursache neun Prozent der Kohlendioxidemissionen. Bei den Maßnahmen zum Klimaschutz müsse man sehr genau überlegen, was man tun möchte und dabei möglichst viele Menschen mitnehmen. „Wenn wir das an die Wand fahren und womöglich wirtschaftlich verlieren, werden andere Staaten sagen, da machen wir nicht mit.“ Europa habe da eine Vorbildfunktion und müsse so vorangehen, dass andere mitziehen. Vor dem Hintergrund plädiere er vor allem für realistische Zeitabläufe.
Ferner fragten die Jugendgemeinderäte nach, wie die EU mit den Verstößen von Ungarn und Polen gegen den „Rechtsstaatsmechanismus“, Verstöße gegen die Geschlechtergerechtigkeit und LGBT-Rechte umgehen wolle, und ob die EU in der Frage noch handlungsfähig sei. „Wir müssen uns nicht über Toleranz oder LGBT-Rechte unterhalten.” Für eine tolerante Gesellschaft zu werben, sei eine Selbstverständlichkeit. Wieland wies an der Stelle auch darauf hin, dass es in Afrika noch viele Staaten gebe, die die Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben. „Da sagen wir auch nicht, dass wir sie nicht mehr unterstützen.“ Auch in der EU gebe es viele Unterschiede. In Malta etwa habe man sich bis vor kurzem nicht scheiden lassen können. „Wir müssen uns gegen Diskriminierung wehren und für europäische Werte einsetzen“, so Wieland weiter. Doch auch da gebe es Grenzen, denn man dürfe die Bevölkerung in den Ländern nicht verlieren. Richtig sei, dass die Instrumentarien der EU diesbezüglich noch nicht ausgereift seien. Mit dem neuen Mechanismus, der die Kürzung von EU-Geldern bei bestimmten Rechtsstaatsverstößen ermöglichen soll, sei die Tür für neue Wege geöffnet. Dass Ungarn und Polen beim Europäischen Gerichtshof dagegen klagen, sei auch ein völlig normaler und legitimer Vorgang.
Mit Blick auf die wachsenden nationalistischen Tendenzen in der EU – siehe Brexit -, wollten die Jugendlichen wissen, was sich ändern muss, um diese zu verhindern. Wieland meinte dazu, dass manches schneller gehen könne, aber das EU-Parlament sei außenpolitisch bisher noch gar nicht zuständig. Wegen dem wachsenden Nationalismus müssten sich alle anstrengen. Das beste Gegengift sei, dass man die Nase im Wind und Kontakt zur Bevölkerung in anderen Staaten Europas hat. Auch bei uns gebe es egoistische Reflexe – das sei beispielsweise in der Pandemie beim Thema Impfen deutlich geworden. Wichtig sei, nicht dem ersten Reflex nachzugeben. In Europa seien alle aufeinander angewiesen. Das werde schnell deutlich, wenn man sich klarmache, wie wichtig es ist, dass viele Zulieferer für unsere Industrie ihren Sitz in anderen Ländern haben. Und man müsse auch selbstbewusst dafür werden, dass es normal ist bei einer EM seine Landesfahne zu schwenken und voller Inbrunst die Nationalhymne zu singen. „Dabei muss sich jeder immer klar machen, dass sein Land nichts besseres, aber etwas Besonderes ist. Dann schaffen wir den Weg für ein gutes Miteinander“, hielt Wieland fest. Er jedenfalls fühle sich als europäischer Schwabe deutscher Nation.
Bürgermeister Oestringer bedankte sich abschließend auch im Namen des Jugendgemeinderates bei Wieland für das interessante Gespräch und wünschte ihm alles Gute für die weitere Arbeit. „Wir freuen uns auf ein Treffen in Gerlingen.“
Jugendgemeinderatswahl
Nächstes Thema auf der Tagesordnung war die Jugendgemeinderatswahl im Herbst. In der nächsten Sitzung des Gemeinderates stehe deshalb die Bildung des Gemeindewahlausschusses auf der Agenda, erklärte das Stadtoberhaupt.
Anja Frohnmaier berichtete, dass die Wahl im November stattfinde. Wahlauftakt sei am 13. November von 19 bis 21 Uhr im Jugendhaus. Am 13. und 15. November kann jeweils von 9 bis 13.30 Uhr im Robert-Bosch-Gymnasium gewählt werden, am 19. November von 18 bis 21 Uhr nochmals im Jugendhaus und am 21. November von 12 bis 16 Uhr im Rathaus. Direkt danach folge die Auszählung und anschließend dann die Bekanntgabe der Wahlergebnisse im Jugendhaus. „Nach den Sommerferien sollten wir mit der Wahlwerbung in den Schulen beginnen“, so Frohnmaier. Die Bewerbungsfrist ende am 11. Oktober. Danach tage dann der Wahlausschuss zur Zulassung der Bewerber und dann werden die Bewerber öffentlich bekanntgegeben.
„Wenn man seit längerem in Gerlingen lebt, könnte man den Jugendgemeinderat als etwas Selbstverständliches ansehen“, hielt Oestringer anschließend fest. Wenn man ins Umland schaue, werde aber deutlich, dass das etwas Besonderes ist, nicht zuletzt, weil es den Jugendgemeinderat schon über 25 Jahre gibt. Der Jugendgemeinderat habe die Möglichkeit Belange der Jugendlichen an die Verwaltung und den Gemeinderat weiterzugeben und sich dafür einzusetzen, machte das Stadtoberhaupt deutlich.
Verschiedenes aus dem Jugendgemeinderat
– Tim Kröper berichtete, dass das erste Planungstreffen zum Treffpunkt für Jugendliche stattgefunden hat. „Wir freuen uns auf den weiteren Prozess und sind gespannt, was dabei herauskommt.”
– Lukas Proksch berichtete über das Planungstreffen für die Internationale Jugendkonferenz, zu dem Ditzingen eingeladen hatte. Die Werbung für die Internationale Jugendkonferenz werde ähnlich ablaufen wie beim Gerlinger Jugendforum. Plakate würden bereits erstellt. Die Anmeldefrist sei einen Monat vor der Konferenz, die von 27. bis 30. Oktober stattfinden soll. Die Partnerstädte, die auch dazu eingeladen sind, würden rechtzeitig informiert.
Text: Tommasi